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[Erwerbszweige.]
Der Volkscharakter erklärt es, daß auch die Gewerbthätigkeit der Stadt bisher keine große Bedeutung erlangt hat. Ihre vorzüglichsten Erzeugnisse sind: Baumwollwaren, Seiden-, Schafwoll- und gemischte Gewebe, [* 2] Leder, Handschuhe und Schuhwaren, Papiertapeten, chemische Produkte, Lakritzensaft, Konfitüren und Maccaroni, Seife und Parfümerien, Wachszündkerzchen, Majolika, Töpferwaren, gemaltes Porzellan, Imitationen antiker Vasen, [* 3] Kameen, [* 4] Korallen- und Lavaarbeiten, Eisenwaren und Maschinen; für letztere Fabrikate bestehen sechs größere mechanische Werkstätten.
Auch befindet sich in Neapel [* 5] eine große Tabaks- und Zigarrenfabrik. Wichtiger ist der Handel, bezüglich dessen Neapel den Mittelpunkt für ganz Süditalien [* 6] bildet. Er wird durch eine Börse, Notenbank, zahlreiche Privatbanken, Versicherungs- und Handelsgesellschaften unterstützt. Von dem im O. der Stadt gelegenen Zentralbahnhof laufen Eisenbahnlinien nach Rom, [* 7] Foggia, Avellino, Castellammare und über Salerno nach Tarent und Reggio aus. Von größter Bedeutung für den Verkehr Neapels ist der Handelshafen, welchen König Karl II. 1302 anlegen ließ, und der nördlich von der Immacolatella mit den Gebäuden des Sanitätsamtes und der Hafenpolizei, südlich vom Molo grande mit einem Leuchtturm und Batterien begrenzt wird.
Südlich vom Handelshafen liegt zwischen dem Molo grande und dem 390 m langen, 1596 errichteten Molo militare der Kriegshafen, welcher, 1826 zu Kriegszwecken bestimmt, 1853 in seiner gegenwärtigen Gestalt vollendet wurde und über 10 m Tiefe hat. 1885 sind im Handelshafen von Neapel 3891 beladene Schiffe [* 8] mit 1,670,006 Ton. ein- und 2763 beladene Schiffe mit 1,428,910 T. ausgelaufen, so daß Neapel unter den italienischen Häfen nur dem von Genua [* 9] nachsteht. Von dem Gesamtverkehr beladener Schiffe (6654 mit 3,098,916 T.) kommen auf Dampfer 3642 Schiffe mit 2,919170 T. und auf Segelschiffe 3012 Schiffe mit 179,746 T.; ferner auf die internationale Schiffahrt 719 Schiffe mit 665,676 T., auf die Küstenschiffahrt 5935 Fahrzeuge mit 2,433,240 T., auf die italienische Flagge 4988 Schiffe mit 1,429,493 T. und auf fremde Flaggen [* 10] (hauptsächlich die englische und französische) 1666 Schiffe mit 1,669,423 T. Der durch die Schifffahrt vermittelte Warenverkehr belief sich 1885 auf 741,160 T. Die Hauptausfuhrartikel sind: Südfrüchte, Öl, Wein, Seide, [* 11] Krapp, Teigwaren, Mineralien, [* 12] während Kohlen, Holz, [* 13] Eisen, [* 14] Tabak, [* 15] Reis, Getreide, [* 16] Fische, [* 17] Häute, Chemikalien, Kolonial- und Manufakturwaren eingeführt werden.
Der städtische Verkehr hat sich in neuester Zeit sehr gehoben. Omnibus- und Pferdebahnlinien durchziehen die Stadt; Dampftramways führen nach Aversa, Caivano und Pozzuoli; Dampfschiffe stellen die Verbindung mit den Inseln her. Von der großen Zahl der Wohlthätigkeitsanstalten sind erwähnenswert: das allgemeine Krankenhaus [* 18] nebst zwei andern Spitälern, das große Findelhaus, das großartige, oben genannte Reale Albergo de' Poveri für Arme, Findlinge, Waisen, Lahme, Blinde und Taubstumme (zusammen für 2000 Personen), mit einer Taubstummen- und einer Musikschule, einem Hospiz für Weiber und einem Spital, welches zugleich ein anatomisches Kabinett und eine orthopädische Heilanstalt besitzt; außerdem zwei Waisenhäuser, ein großes Armenversorgungshaus, das deutsche und englische Hospital, 25 Konservatorien zur Erziehung armer Mädchen u. a. Neapel besitzt auch mehrere Mineralquellen, darunter die Schwefelquelle von Santa Lucia, sowie Seebadeanstalten.
[Bildungsanstalten, Behörden.]
Die Unterrichtsanstalten der Stadt, unter dem Einfluß des Bourbonenregiments und der Geistlichkeit verkümmert und verfallen, werden seither von der italienischen Regierung gepflegt und gehoben. Die Universität, 1224 von Kaiser Friedrich II. gestiftet, hat vier Fakultäten, ein wertvolles mineralogisches und zoologisches Museum, zahlreiche Kabinette, einen im nordöstlichen Teil der Stadt befindlichen botanischen Garten, [* 19] ein astronomisches und meteorologisches Observatorium, auf der höchsten Stelle des Capodimonte gelegen und mit trefflichen Apparaten versehen, sowie eine Bibliothek von 60,000 Bänden.
Die Frequenz der Universität ist die höchste in ganz Italien [* 20] und beläuft sich bei einer Anzahl von 270 Lehrern auf 3300 Studierende. Außerdem besitzt die Stadt ein königliches medizinisch-chirurgisches Kollegium, ein Institut für die Handelsmarine, höhere Schulen für die Tierarzneikunde und Landwirtschaft, eine höhere Normalschule, eine Ingenieurschule, ein Seminar mit theologischer Lehranstalt, ein Gewerbeinstitut, 2 königliche Lyceen und Gymnasien, ein Konviktsgymnasium, 2 technische Schulen, eine Schule der schönen Künste, ein Musikkollegium, eine königliche Marineschule, ein Militärkollegium, 3 königliche Lehr- und Erziehungsinstitute für Mädchen und zahlreiche Elementar- und Privatschulen.
Außer der Farnesischen Nationalbibliothek mit 240,000 Bänden und 10,000 Manuskripten gibt es noch 5 andre öffentliche Bibliotheken: die Brancacciana mit 100,000 Bänden, die Universitätsbibliothek, die Stadtbibliothek, die Bibliothek San Giacomo und die ehemalige Klosterbibliothek Gerolimini;
auch haben verschiedene andre aufgehobene Klöster große Bücher- und Manuskriptensammlungen.
Unter den wissenschaftlichen Anstalten sind ferner zu erwähnen: die königliche Gesellschaft für Wissenschaft, Litteratur, Archäologie und schöne Künste, die Accademia Pontaniana, endlich die von Dohrn gegründete zoologische Station mit Seeaquarium und Laboratorium [* 21] (vgl. Gierke, Die zoologische Station in Neapel, Kassel [* 22] 1885). Unter den Kunstsammlungen nimmt weitaus den ersten Rang das Museum (Museo nazionale, ehemals Museo borbonico) ein. In dem weitläufigen Gebäude desselben auf der Piazza Cavour, das früher als Universitätsgebäude diente, 1790 zur Aufnahme der öffentlichen Sammlungen erweitert und 1816 mit den herrlichen Kunstwerken aus Rom ausgestattet wurde, die der König als Erbe der Farnese erwarb, befindet sich im Erdgeschoß und im obern Stockwerk in 17 Abteilungen eine Reihe wichtiger Sammlungen, welche das Museum zur umfangreichsten Kunstsammlung von Italien und in vieler Beziehung zu der bedeutendsten Europas erheben.
Das Museum enthält nämlich Sammlungen pompejanischer Fresken, Mosaiken (die der Alexanderschlacht, s. d.) und Wanddekorationen, eine Galerie der Inschriften, die beiden berühmten Marmorwerke: den Farnesischen Stier und den Farnesischen Herkules, sowie eine der vorzüglichsten Galerien antiker Marmorstatuen, eine Sammlung griechisch-römischer Bronzen, ägyptischer Altertümer und altchristlicher Inschriften, Papyrusrollen aus Herculaneum, eine Sammlung antiker Waffen, [* 23] Glassachen, Terrakotten, [* 24] kleiner Bronzegeräte, Kameen, Gemmen und Preziosen, griechisch-italienischer bemalter Vasen (etwa 4000), ferner Sammlungen von Renaissancearbeiten, Kupferstichen und Münzen, [* 25] eine wertvolle Gemäldesammlung und die oben erwähnte Nationalbibliothek. Die Schätze der Ausgrabungen von Pompeji [* 26] und Herculaneum geben dem Museum einen ¶
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besondern originalen Wert. Für antike Wandmalerei und Bronzen ist es die wichtigste Sammlung; herrliche Objekte finden sich auch unter den Gemmen und Preziosen, und unter seinen Marmorstatuen besitzt das Museum einige der für die Kenntnis der Kunstentwickelung wichtigsten. Neapel hat außer einer Menge kleiner Winkel- und Puppen-Theater für Darstellungen im neapolitanischen Dialekt mit Pulcinell sechs größere, von denen das schon erwähnte San Carlo das Opernhaus, das Teatro de' Fiorentini das Schauspielhaus (andre sind: Mercadante, Sannazaro, Rossini) u. San Carlino das eigentliche Volkstheater ist.
Neapel ist Sitz zahlreicher Behörden, wie der Präfektur, des Erzbistums, eines Kassationshofs, Appellhofs, Zivil- und Korrektionstribunals, Handels- und Militärtribunals, einer Quästur, Finanzintendanz, Post- und Telegraphendirektion, eines Hauptzoll- und Seesanitätsamtes, Generalkommandos, Marinekommandos, einer Handels- und Gewerbekammer, eines deutschen Konsuls etc.
[Umgebung.]
Die Glanzpunkte der Umgebung Neapels (s. Karte) bilden im W. der Bergrücken Posilipo (s. d.) mit den beiden Tunnels u. dem Grab des Vergil, darunter am Meeresufer der herrliche Küstenstrich Mergellina mit der neuen Straße, die Gegend von Pozzuoli (s. d.) mit dem See von Agnano, der Hundsgrotte, dem Krater [* 28] von Astroni, der Solfatara, dem Monte Nuovo, den Ruinen von Cumä und Bajä, im NW. das ehemalige Kloster Camaldoli mit seiner weltberühmten Aussicht, im N. Caserta mit dem königlichen Schloß, im O. der Vesuv, [* 29] Herculaneum und Pompeji, Castellammare und Sorrent, endlich die Inseln Capri [* 30] und Ischia. [* 31]
[Geschichte.]
Neapel ist das alte Neapolis (»Neustadt«), [* 32]
eine griechische Kolonie in Kompanien, 6 röm. Meilen von dem ältern Paläopolis (Altstadt) gelegen, welch letzteres auf dem heutigen Monte Posilipo zu suchen ist. Dort ließen sich nach Strabon die chalkidischen Kolonisten aus dem nahen Kyme (Cumä) zuerst nieder und gründeten erst später, durch Chalkidier und Athener verstärkt, die »neue Stadt«, welche mit Paläopolis eine Zeitlang Eine Gemeinde Parthenope bildete. Obwohl von den Samnitern erobert, bewahrte Neapolis doch seinen griechischen Charakter, seine altgriechischen Spiele und Wettkämpfe, seine Einteilung in Phratrien bis in die spätesten Zeiten, und noch aus dem 7. Jahrh. n. Chr. haben sich griechische Inschriften von Neapel erhalten.
Während Paläopolis einen Krieg mit den Römern begann und nach der römischen Eroberung 326 v. Chr. aus der Geschichte verschwand, schloß Neapel ein Bündnis mit den Römern, die der Stadt als civitas foederata ihre eigentümliche Verfassung ließen. Neapel stieg rasch zu hoher Blüte, [* 33] leistete Rom durch seine Flotte wesentliche Dienste [* 34] und war der herrlichen Gegend und der daselbst blühenden griechischen Kunst und Wissenschaft wegen ein Lieblingsaufenthalt gebildeter und vornehmer Römer, [* 35] wie des Vergil, Claudius, Nero, Statius u. a. Die Stadt hatte, wenn sie auch neben Tarent die größte Seestadt Unteritaliens war, nicht denselben Umfang wie das heutige Neapel, das erst im Mittelalter als Residenz der normännischen Könige seine dermalige Größe und Bedeutsamkeit erhielt. 536 ward Neapel den Goten durch Belisar entrissen, gehörte dann zum byzantinischen Reich, war aber unter eignen Herzögen fast selbständig und wurde 1148 von den Normannen erobert. Über die weitere Geschichte s. Sizilien, [* 36] Königreich beider.
Vgl. Heß, Der Golf von Neapel, seine klassischen Denkmale etc. (Leipz. 1876);
Wyl, Spaziergänge in Neapel etc. (Zürich [* 37] 1877);
Capasso, Sulla circoscrizione e sulla populazione della città di Napoli, 1300-1809 (Neapel 1882);
de Balzo, Napoli e i Napolitani (Mail. 1884);
Kleinpaul, Neapel und seine Umgebung (Leipz. 1884);
Gsell Fels, Unteritalien (in »Meyers Reisebücher«, 1888).