Händel
,
Georg Friedrich, Komponist, geb. zu Halle [* 2] a. S. als Sohn eines Wundarztes, spielte schon als siebenjähriger Knabe ziemlich fertig Klavier und Orgel, wurde jedoch durch seinen Vater, der ihn zum Juristen bestimmte, an der Ausbildung seines Talents gehindert, bis der Herzog von Sachsen-Weißenfels ihn gehört hatte und er auf dessen Veranlassung dem Halleschen Organisten Zachau als Orgel- und Kompositionsschüler übergeben wurde. 1698 kam er nach Berlin, [* 3] wo er Bononcinis und besonders Attilio Ariostis Unterricht genoß, und sodann nach Hamburg, [* 4] wo eben (1703) unter Reinhard Keisers Leitung die Oper einen großen Aufschwung genommen hatte.
Zuerst trat er hier als Violinist ins
Orchester, übernahm dann, als sich
Keiser zurückzog, neben Matheson die
Direktion der
Oper und komponierte seine erste
Oper: »Almire«, die mit ungeteiltem Beifall zur Aufführung
gebracht wurde.
Schon im
Februar d. J. folgte seine zweite
Oper:
»Nero«, welche sich gleichfalls einer günstigen
Aufnahme erfreute.
Ferner entstanden um diese Zeit, während Händel
nebenbei mit Klavierunterricht beschäftigt war, zahlreiche
Klavierkompositionen,
Lieder und
Kantaten, ein »Laudate« und das
Oratorium »La resurrezione«; auch brachte
er 1708 noch zwei
Opern: »Florinde« und
»Daphne«, auf die
Bühne.
Hierauf begab er sich nach Italien [* 5] und zwar nach Florenz, [* 6] wo er 1709 seine Oper »Rodrigo« zur Aufführung brachte; von da nach Venedig, [* 7] wo seine innerhalb drei Wochen geschriebene Oper »Agrippina« 27 Abende hintereinander gespielt wurde, und schließlich nach Rom, [* 8] wo er ebenfalls hohen Ruhm erntete und unter anderm die Kantate »Il trionfo del tempo« komponierte. In sein Vaterland zurückgekehrt, erhielt er einen Ruf nach Hannover [* 9] als Kapellmeister und besuchte von da aus 1710 England, wo er bei Hof die [* 10] ehrenvollste Aufnahme fand. In 14 Tagen komponierte er hier die Oper »Rinaldo«, die mit dem größten Beifall aufgenommen ward.
Dann kehrte er zwar wieder nach Hannover zurück, nahm aber Ende 1712 seinen bleibenden Wohnsitz in England. Bald nach seiner Ankunft schrieb er aus Anlaß der Feier des Utrechter Friedens ein »Te Deum« und »Jubilate«, dem später ein zweites »Te Deum« auf den Dettinger Sieg und zahlreiche Kirchen- und Kammermusiken folgten. Seine vornehmste Thätigkeit wandte sich aber dem Theater [* 11] zu, für das er 1712 die Opern: »Theseus« und »Il pastor fido« sowie 1715 den »Amadigi« schrieb. Er lebte damals mehrere Jahre im Haus des Grafen Burlington;
dann stellte ihn der
Herzog von Chandos
an die
Spitze seiner
Kapelle, für welche Händel
20 große
»Anthems« (eine Art geistlicher
Kantaten) und das
Pastorale
»Acis und
Galatea«
komponierte. 1720 wurde ihm die
Direktion der eben vom hohen
Adel errichteten
Londoner
Oper (»königliche
Akademie
der
Musik«)
übertragen und zugleich die
Mittel zur
Verfügung gestellt, die berühmtesten Gesangsvirtuosen
Europas für das Unternehmen
zu gewinnen. Im folgenden Jahr eröffnete er die neue
Akademie im
Haymarket-Theater mit der
Oper »Radamisto«, welcher er im
Lauf seiner Direktionsführung (bis 1728) noch 13 weitere
Opern folgen ließ. Im genannten Jahr mußte
die
Akademie geschlossen werden, weil Händels
Gegner, durch seinen unbeugsamen Künstlerstolz und sein häufig schroffes
Auftreten verletzt, das
Theater
an sich zu bringen gewußt hatten und ihm mit einer Konkurrenzoper unter Leitung des Neapolitaners
Porpora gegenübertraten.
Indessen verlor Händel
den
Mut nicht, eröffnete vielmehr 1729 eine
»Neue Opernakademie« im
Coventgarden-Theater, für welche er wiederum persönlich in
Italien die besten Gesangskräfte engagiert hatte. Aber auch
dieses Unternehmen schlug fehl und mußte schon nach vier
Jahren, während welcher Händel
wiederum sieben neue
Opern komponiert
hatte, aufgegeben werden; und nicht besser ging es dem
Künstler bei einem dritten, 1733 unternommenen
Versuch, denn
nach siebenjähriger, unermüdlicher Thätigkeit sah er sich gezwungen, den Hindernissen zu weichen, welche ihm der
Widerstand
der mit seinen italienischen
Rivalen, namentlich
Hasse und
Bononcini, verbündeten
Aristokratie einerseits, die Eifersüchteleien
der unter seiner Leitung stehenden
Sänger anderseits bereiteten. 1740, nach Aufführung seiner 31.
Oper, »Deidamia«, verließ
er das
Theater für immer, nachdem er bei dem letzten Unternehmen sein ganzes, mühsam erworbenes
Vermögen
eingebüßt hatte.
Inzwischen aber war er bereits 1732 als Oratorienkomponist aufgetreten und hatte durch die Aufführung seiner schon 1720 komponierten
»Esther« die
Teilnahme desjenigen Teils der
Londoner Kunstfreunde erregt, welcher durch die 1710 gegründete
Akademie für alte
Musik vertreten war und in Händels
Arbeit eine Verwirklichung seiner
Pläne zur Erneuerung der antiken
Tragödie auf dem
Boden der biblischen Geschichte erblickte. In der That bot das
Oratorium dem
Musiker ein weit geeigneteres
Feld, die
Würde und Erhabenheit des griechischen
Dramas zur
Erscheinung zu bringen, als die italienische
Oper jener
Zeit, besonders nachdem die
Frage, ob das
Oratorium mit oder ohne
Aktion (sichtbare dramatische Zuthaten) darzustellen sei,
vom
Londoner
Bischof
Gibson in letzterm
Sinn entschieden war; denn nun konnten sich die Tonbilder ungleich freier gestalten als
bei dem
Zwang, welcher durch die
Bedingungen einer szenischen Aufführung dem
Komponisten unter allen Umständen
auferlegt ist.
Namentlich vermochte der
Chor die hohe Bedeutung des griechischen
Chors weit deutlicher im
Oratorium zur
Anschauung zu bringen
als der Opernchor, und in diesem
Sinn darf er auch als der eigentliche
Schwerpunkt
[* 12] des Händel
schen
Oratoriums gelten. Hatte
so der
Künstler das eigentliche Gebiet seiner reformatorischen Thätigkeit betreten (denn die
Oper hat
er trotz seiner langjährigen Wirksamkeit am
Theater als Kunstgattung nicht gefördert), so war doch das
Publikum weit entfernt,
seinen Oratorien ein volles Verständnis entgegenzubringen, und selbst als Händel
sein Meisterwerk
¶
mehr
den »Messias«, vollendet hatte, mußte er es für geraten halten, dasselbe nicht in London, [* 14] sondern in Dublin [* 15] zum erstenmal öffentlich aufzuführen (1741). Der dortige Erfolg dieses Oratoriums wirkte allerdings belebend auf die Teilnahme der Hauptstadt, welche nunmehr den früher entstandenen Oratorien: »Acis und Galatea« und »Athalia« (1733),
»Das Alexanderfest«, eine Verherrlichung der Macht der Musik (1736),
»Saul« und »Israel in Ägypten« [* 16] (1738),
»L'allegro, il pensieroso ed il moderato« (1740),
wie den spätern: »Samson« (1741),
»Semele« (1743),
»Herakles« [* 17] und »Belsazar« (1744),
»Judas Makkabäus« und »Joseph« (1746),
»Josua« und »Alexander Balus« (1747),
»Susanna« und »Salomo« (1748),
»Theodora« (1749) und »Jephtha« (1751), mehr
und mehr ihre Gunst zuwandte. Gleichwohl sah sich Händel
genötigt, seinen Oratorien-Aufführungen durch eingeflochtene Orgelvorträge,
auf welchem Instrument seine Meisterschaft allgemein anerkannt war, größere Anziehungskraft zu verleihen, und diesem Brauch
blieb er, selbst nachdem er in den letzten Lebensjahren völlig erblindet war, bis wenige Tage vor seinem Tod getreu. Er
starb in London und wurde in der Westminsterabtei beigesetzt.
Wie sehr auch der Vokalkomponist bei Händel
überwog, so hat er doch der Instrumentalmusik ebenfalls die wichtigsten Dienste
[* 18] geleistet.
Das Orchester seiner Opern und noch mehr seiner Oratorien zeigt die Ausdrucksfähigkeit der Instrumente durch ihn wesentlich
erweitert, und in der Ausmalung einer gegebenen Situation entfaltet er eine wunderbare Stärke
[* 19] und unerschöpflichen
Reichtum. Alle Tonwerkzeuge führen, wie Chrysander (»Händel«
, Bd.
3, S. 184) sagt, die beredteste Sprache,
[* 20] und wesentlich hierdurch erhalten Händels
schönste Gesänge ihre bedeutungsvolle,
aber durch keine Deutung zu erschöpfende Tiefe. In demselben Maß bereicherte er die reine Instrumentalmusik,
obwohl er ihre von seinen italienischen Vorgängern ausgebildeten Formen sowenig zu erweitern trachtete wie die der italienischen
Oper.
Als glänzende Zeugnisse seiner kontrapunktischen Gewandtheit und nie versiegenden Erfindungskraft sind hierher gehörig zu nennen: die sogen. Wassermusik für Orchester, komponiert 1717 auf Veranlassung einer Wasserfahrt des Hofs auf der Themse;
12 Solosonaten für eine Violine oder Flöte mit Baß für Harpsichord (Klavier);
13 Trios oder zweistimmige Sonaten für zwei Violinen (Oboen oder Flöten) mit Baß, 1733 und 1738;
6 Concerti grossi für Streich- und Blasinstrumente (wegen der bevorzugten Oboenstimme auch »Oboenkonzerte« genannt), 1733, sowie 5 andre Konzerte ähnlicher Art und 12 Concerti grossi für Streichinstrumente, 1739;
vor allem aber seine Orgelkonzerte, deren in der Zeit von 1738 bis 1797 nicht weniger
als 20 erschienen sind, sämtlich zugleich für das Klavier bestimmt, welches in seinem Bau wie in seinem Gebrauch zu Händels
Zeit der Orgel weit näher stand als jetzt.
Speziell für Klavier veröffentlichte er 1720: »Suites de pièces
pour le clavecin«, denen bis 1735 noch drei weitere Sammlungen folgten, bekannt unter dem Titel: »Harpsichord lessons« und nach
der Angabe des Musikhistorikers Hawkins »für die Übung der Prinzessin Anna komponiert«. Ein annähernd vollständiges Verzeichnis
von Händels
sämtlichen außerordentlich zahlreichen Werken findet sich in Fétis' »Biographie universelle«.
Die bis jetzt umfassendste Ausgabe derselben ist die Londoner, von Arnold besorgt; in 40 Foliobänden (1786); sie ist jedoch
nicht frei von Fehlern, und
Kenner ziehen deshalb die Originalausgabe von Walsh vor.
Eine korrekte Ausgabe wird unter Redaktion Chrysanders von der Leipziger Händel-Gesellschaft (gegründet 1856) herausgegeben; bisher (1886) sind davon 84 Lieferungen (25 Jahrgänge) erschienen. Die Londoner Sammlung enthält 21 Oratorien, 5 Tedeums, 12 große und viele kleinere Psalmen, 12 Klavierkonzerte, 12 Oboekonzerte, 18 Orgelkonzerte, 12 Flötensoli, 12 Kammerduette und Kammertrios, mehrere der Opern (darunter eine komische: »Der Alchimist«),
Instrumentalsätze unter den Titeln: »Fire-music«
und »Water-music«, Klaviersuiten, Fugen etc. Büsten Händels
wurden bereits zu seinen Lebzeiten von Roubillac angefertigt,
der dann auch die Statue für sein Grabdenkmal in der Westminsterabtei schuf (1762). Eine wohlgelungene Kolossalstatue (von
Heidel) wurde dem Komponisten 1859, 100 Jahre nach seinem Tod, in seiner Vaterstadt Halle errichtet.
Vgl. Schölcher, The
life of Händel
(Lond. 1858);
Chrysander, G. F. Händel
(Leipz. 1858 bis 1867, Bd.
1-3);
Gervinus, und Shakespeare (das. 1868);
Reißmann, G. F. Händel, sein Leben und seine Werke (Berl. 1881);
Kretzschmar, G. F. Händel (Leipz. 1883);
E. David, G. F. Händel, sa vie, ses travaux et son temps (Par. 1884).