Illyrien
(griech. Illyris), im Altertum unbestimmte Bezeichnung aller östlich von Italien [* 2] und Noricum sowie westlich von Makedonien und Thrakien bis an den Ister hinauf gelegenen Länder; im engern Sinn seit dem 4. Jahrh. ein Reich der Autariaten und Ardiäer nördlich von Epirus; dann seit 168 v. Chr., unter dem Namen Illyricum, administrative Benennung des Küstenlandes am Adriatischen Meer von Istria an bis an den Drilon (Drin) und im Innern bis an den Savus (Sau) und Drinus (Drina), ein zum größten Teil von rauhen Gebirgszügen erfülltes Land, das sich im ganzen mehr zur Viehzucht [* 3] als zum Ackerbau eignete, aber reiche Goldgruben enthielt. Es entsprach ungefähr dem heutigen Bosnien [* 4] und Dalmatien.
Das Land hatte seinen Namen von dem Volk der Illyrier, die, aus zahlreichen Stämmen bestehend, mit den Thrakern wahrscheinlich einen eignen Zweig des indogermanischen Völker- und Sprachstammes bildeten. Die verschiedenen Namen dieser Stämme sind: Dassariten, Piruster, Penester, Albaner, Parthiner, Taulantier, Buliner und Abanten. Sie waren übrigens mit Griechen, Phönikern, Kelten und Siziliern vermischt, standen in dem Ruf der Seeräuberei und wurden von Häuptlingen regiert.
Ihre Zerrissenheit verhinderte die Entwickelung eines selbständigen Staatslebens. Ein Häuptling, Bardylis, machte gegen 385 v. Chr. den makedonischen König Amyntas II. tributpflichtig und eroberte ein Stück von dessen Gebiet. Auch König Perdikkas von Makedonien mußte die Übermacht der Illyrier empfinden und fiel selbst 359 in einem Kampf gegen sie. Glücklicher war der König Philipp II., welcher nicht bloß das Entrissene wieder zu Makedonien schlug, sondern auch Teile von I. selbst abhängig machte.
Alexander d. Gr. unterwarf 335 den Sohn des Bardylis,
Kleitos, bei
Pelion.
Philipp III. jedoch gebot über ganz I.
Später nahm
Pyrrhos von
Epirus den von den Makedoniern verschont gebliebenen Teil Illyriens
, oberhalb
Montenegros, weg, und erst Agron,
der auch in heftige
Händel mit den
Römern geriet, gewann ihn wieder. Seine Gemahlin Teuta führte nach
seinem
Tode die Herrschaft mit Erfolg weiter; allein die Kühnheit der illyrischen
Korsaren und die Hilfsgesuche der Apolloniaten
und Issäer nötigten den römischen
Senat,
Gesandte an Teutas
Hof
[* 5] zu schicken, welche bei der Heimkehr ermordet
wurden. So entstand der
Illyrische
Krieg, auch Seeräuberkrieg genannt.
Die römischen Konsuln Gnäus Fulvius Centumalus und L. Posthumius Albinus nahmen, durch den Abfall der Unterthanen Teutas unterstützt, 229 die illyrische Küste weg und, da der Statthalter von Pharos, Demetrius, gleichfalls von jener abfiel, auch die Insel Korkyra. Teuta sah sich daher gezwungen, indem Friedensvertrag von 228 eine große Strecke des Küstengebiets an die Römer [* 6] abzutreten und einen Tribut zu bewilligen. Nach ihrem Tod machte ihr unter der Vormundschaft des Demetrius stehender Sohn Pineus vergebliche Versuche, ganz I. zu einem Feldzug gegen Rom [* 7] zu bewegen; er wurde geschlagen und teilte hierin das Schicksal einiger seiner Nachfolger, die sich ebenfalls gegen das Joch der Römer erfolglos auflehnten, z. B. des Genthius, der ein Bündnis mit dem König Perseus [* 8] von Makedonien geschlossen hatte, aber 168 vom römischen Prätor Lucius Anicius besiegt und nach Eroberung seiner Hauptstadt Skodra gefangen genommen wurde und den Triumph des Siegers verherrlichen helfen mußte.
Nachdem auch 153 und 145 zwei Empörungen gescheitert waren, entstand 49 ein neuer
Aufstand gegen die römische Herrschaft,
welchen
Julius Cäsar dämpfte.
Endlich machten die
Römer 35 I. gänzlich zu einer römischen
Provinz. Von jetzt
an wuchs der
Wohlstand und das Ansehen Illyriens
, und Schriftsteller, z. B. Appianus,
und
Kaiser, z. B.
Valens, die geborne Illyrier waren, erwarben ihrem Vaterland
Ruhm. Von 324
n. Chr. ab war I. der
Name einer
der vier großen Präfekturen des
Reichs. Bei der
Teilung unter
Theodosius ward I. zum abendländischen Kaisertum geschlagen,
fiel aber 476 beim
Untergang des weströmischen
Reichs dem byzantinischen Kaisertum zu.
Gegen 550 gründeten aus Norden [* 9] einwandernde Slawen mehrere Kolonien in I., die sich schon nach kurzem vom morgenländischen Reich lossagten und eigne Reiche gründeten, neben welchen das bulgarische ¶
mehr
bis ins 11. Jahrhundert seine Machtstellung wahrte. Außer dem kroato-serbischen Dalmatien oder Chrobatien, wie es die Byzantiner nannten und in ein nördlich und südlich der Czettina gelegenes christliches und heidnisches (Pagania) unterschieden, entwickelten sich Altserbien oder Rasa, Rascien (so genannt nach der Hauptstadt Rasa, jetzt Novipasar), Divolna (Duklja oder Zeta) und Trebunia (Travunja) mit Canalia (Ronavlje, südlicher Teil der heutigen Herzegowina), Zachlumia (Zahumje, Hauptteil der heutigen Herzegowina) und Narentania (Neretva), während Bosnien (Bosna) aus dem östlichen Teil Altkroatiens hervorging.
Alle diese Gebiete standen teils unter fremder Herrschaft, der Ungarn, [* 11] der Byzantiner oder auch zuweilen der Venezianer, teils im 12. Jahrh. und weiterhin seit dem Aufschwung der serbischen Fürstenmacht der Nemanjaden unter eignen slawischen Herrschern, die sich zeitweilig der ungarischen Oberhoheit fügen mußten und im 14. Jahrh. der türkischen Botmäßigkeit verfielen. Auch der Name I. mußte naturgemäß seine alte umfassende Bedeutung, die er in der römischen Epoche auch für das heutige Innerösterreich hatte, verlieren. Im 15. Jahrh. brachten die Venezianer den Küstenstrich am Adriatischen Meer an sich; doch wurde ihnen in der Folge diese Eroberung von den Türken bedeutend geschmälert. Durch den Frieden von Passarowitz (1718) aber erweiterte sich der Besitz der Venezianer wieder.
Der Name »Illyrier« gewann im 17. und 18. Jahrh. eine konfessionelle Bedeutung, indem er die griechisch-nichtunierten Slawen umfaßte, also vorzugsweise die Serben oder Raizen (Rascier). Seit Maria Theresia sprach man in diesem Sinn von der »illyrischen Nation« Ungarns. Der Friede von Campo Formio (1797) schlug das venezianische I. zu Österreich, [* 12] unter dessen Herrschaft der Name I. durch die Bezeichnung Dalmatien verdrängt ward, bis Napoleon I. ihm bei dem Frieden von Schönbrunn zu neuer Bedeutung verhalf, indem er die Provinzen, welche nun, von Österreich an Frankreich abgetreten, einen von letzterm abhängigen besondern Staat bildeten, mit dem Namen illyrische Provinzen belegte.
Diese umfaßten, außer der Grafschaft Görz [* 13] und dem Gebiet von Monfalcone, Krain, [* 14] Triest, [* 15] den kärntnerischen Kreis [* 16] Villach, Fiume, [* 17] das ungarische Litorale und Istrien sowie den größten Teil von Kroatien und hatten die Save zur Hauptgrenze gegen Österreich. Nachdem Napoleon hiermit noch die ehemalige Republik Ragusa [* 18] vereinigt hatte, erfolgte 1811 die definitive Organisation dieses neuen Staats, der nun von einem Gouverneur regiert und in sechs Zivilprovinzen (Krain, Kärnten, Istrien, Zivilkroatien, Dalmatien und Ragusa) und eine Militärprovinz mit sechs Grenzregimentern eingeteilt ward.
Mit Ausnahme der Militärprovinz, welcher ihre alte Verfassung blieb, erhielt das Land den Code Napoléon als Gesetzbuch. Mit
Napoleon I. fiel die ephemere Schöpfung, und das Land kam im Pariser Frieden an Österreich zurück; doch
blieb der Name, denn Österreich bildete 1816 aus den Ländern Krain, Kärnten, Görz, Gradisca und Istrien ein Königreich I., das
28,000 qkm mit 1,300,000 Einw. umfaßte und in zwei voneinander fast unabhängige Gubernien,
Laibach
[* 19] (mit fünf) und Triest (mit drei Kreisen), zerfiel, bis endlich 1849 dieses unhistorische Königreich,
das noch dazu immer an Napoleon erinnerte, ebenfalls zusammenfiel und zufolge der neuen Reichseinteilung in die Kronländer:
Kärnten, Krain, Görz-Gradisca und Istrien zerlegt wurde. In neuester Zeit
wurde, zuerst 1835 von L. Gaj (s. d.), der Versuch
gemacht, den Ausdruck »illyrisch« oder »illyrische
Völker« im nationalen Sinn auf die Einheit der Südslawen, Serben, Kroaten und Slowenen, zu beziehen und durch Wiederherstellung
eines illyrischen Königreichs (Großillyrien
), das außer Kroatien und Slowenien auch Südsteiermark, Kärnten, Krain, Istrien,
Görz, Gradisca, Dalmatien, das serbische Ungarn, ferner Bosnien und Herzegowina umfassen sollte, die Macht der Südslawen zu befestigen.
Doch ist dieser »Illyrismus« zunächst noch von einer Verwirklichung fern.
Vgl. Zippel, Die römische Herrschaft in I. bis auf Augustus (Leipz. 1877);