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ihrer
Aufgabe wie der sittlichen Natur des
Menschen und seiner Ziele zu messen, der geschichtlichen
Ent- wicklung der Rechtsinstitute
im Leben der verschiede- nen
Völker nachzuspüren, daraus allgemeine Gesetze abzuleiten und hiernach über die weitere
Entwick-
lung nach den dem Menschengeschlechte gesteckten Zielen nachzudenken. Solche
Aufgaben hat sich die Rechtsphil
osophie oder
philosophische Rechtslehre zu den ver- schiedensten
Zeiten gestellt.
Plato dachte den
Staat als den
Menschen im
Großen und gliederte
in seinem Idealstaate die Menschheit so, wie er sich die psychischen Thätig- keiten des sittlichen
Menschen geordnet dachte,
der- art nämlich, daß die
Wissenden die Zerrschaft über diejenigen führen sollten, die zur Ausübung
der ge- gebenen Gesetze und zur Befriedigung der materiellen Bedürfnisse der Gesellschaft thätig find.
Aristoteles war von der Überzeugung durchdrungen, dcch der Mensch seine sittlichen Aufgaben nur in der staat- lichen Gemeinschaft lösen könne, daß aber diese des- halb von Grund aus und in allen ihren einzelnen Zügen von diesem Gesichtspunkte beherrscht sein müsse. In der Folgezeit nahm das sittliche Bewußt- sein der Menschheit bekanntlich ein religiöses Ge- präge an, und die Folge davon war, daß auch die philos. Rechtstheorien den Staat als eine Anstalt zur Beförderung der sittlich-religiösen Aufgabe des Menschen anzusehen ansingen.
Die Scholastik be- trachtete «den gottlichen Willen als das
oberste Prin- cip auch der staatlichen Gesetzgebung. Dadurch kamen theoretisch wie praktisch die Rcchtsinstitutionen in ein
Abhängigkeitsverhältnis von den kirchlichen Satzun- gen, und es war ein natürlicher
Rückschlag, daß mit der Renaissance
überall das Bestreben hervortrat, die Rechtsphil
osophie von theol.
Voraussetzungen unabhängig zu machen. Zu diesem
Zwecke suchte Machiavelli das
Recht als einen Ausfluh des nationalen Lebens zu be- greifen und Vodinus dasselbe lediglich
aus den bistor. Verhältnissen zu entwickeln. Auf der andern Seite begannen mit
Thomas Morus die
bis in die neueste Zeit hinabreichcnden
Versuche, einen idealen Zustand der Gesellschaft von möglichst natürlicher Bethätigung ihrer Bedürfnisse
darzustellen.
Wissen- schaftlicher gingen diejenigen vor, die dem
Recht eine eigene auf sich selbst beruhende und in der
Ver-
nunft begründete Geltung zu verschaffen suchten. Anfangs vergriff man sich, wie Gentilis, indem man die Nechtsgesetze aus
den allgemeinen Natur- gesetzen abzuleiten dachte;
Hugo Grotius (s. d.) unterschied das histor.
Recht von
dem natürlichen
Rechte begrifflich, leitete das erstere aus der Willtür der
Menschen und dem Verlaufe der Geschichte, das
letztere aus der unabänderlichen und ewig gleichen Natur des
Menschen ab, stellte aber beiden das gött- liche
Recht als den
in der Offenbarung niedergeleg- ten
Ausdruck des göttlichen Willens entgegen. Das Naturrecht, das eigentliche
Objekt der Rechtsphil
osophie, er- klärte Grotius für etwas mit dem Naturzustände des
Menschen Gegebenes und den
Staat für eine von den
Menschen zur bessern Wahrung dieses ihres ur- sprünglichen
Rechts geschlossene Gemeinschaft. In- folgedessen gewöhnte man
sich im 17. und 18. Jahrh., das
Recht als etwas dem Staatsleben Vorhergehen- des und den
Staat als ein
Mittel zur Wahrung des- selben zu betrachten. Von diesem
Gesichtspunkte aus entwarf man die
Theorie des besten
Staates und sprach
allen
Staatsformen, von denen man meinte, daß sie dem ursprünglichen
Recht nicht entsprächen, die Existenzberechtigung ab.
So nahm die Rechtsphil
osophie den bestehenden
Staatseinrichtungen gegenüber eine kritische, polemische
und schließlich revolutionäre Gestalt an. Dabei machte sich wiederum der Unter- schied geltend, daß die einen meinten,
der natürliche Zustand der Gesellschaft enthalte eine stete Gefähr- dung des natürlichen
Rechts und müsse deshalb durch
die Staatseinrichtungen korrigiert werden. So dachten Zobbes und
Spinoza, wenn auch erste- rer mit absolutistischen,
letzterer mit republikanischen Konsequenzen. Die andern dagegen setzten einen Urzustand der Gesellschaft voraus, in welchem
das Naturrecht realisiert gewesen, der aber durch den Verlauf der Geschichte nach allen Seiten zerstört und verzerrt worden
und dessen Wiederherstellung die
Ausgabe der Zukunft sei. Der typische
Vertreter dieser
Ansicht ist
Rousseau
(im »^outrat social", 1762).
Allen gemeinsam aber war die
Vorstellung, daß der
Staat auf
Grund der natürlichen
Rechte durch
eine freie
Vereinigung seiner
Bürger (einen
Vertrag) entstanden sei und deshalb jeden
Augen- blick neu entstehen könne.
Dieser
Ansicht huldigten auch Locke und Montesquieu, die bei der
Bildung des besten
Staates eine Berücksichtigung
der ge- gebenen Verhältnisse befürworteten. In der deutschen Rechtsphil
osophie hatten namentlich Pufendorf und seine
Anhänger die
Gedanken des Naturrechts vertreten;
Leibniz dagegen betrachtete das
Rechts- lebcn als eine der
Stufen zur Realisierung
der sitt- lichen
Aufgabe des
Menschen. Bei Kant
(«Meta- pbysischc Anfangsgründe derNechtslehre», Königsb.
1796; 2. Aufl. 1798) durchdrangen sich beide Auf- fassungen: er suchte zwar die
Begriffe der Legali- tät und der
Moralität
fcharf zu sondern und der Rechtslehre nur die
Entwicklung derjenigen Bestim- mungen zuzuweisen, die in dem äußerlichen Zusam-
menhange die
Freiheit des Einzelnen neben der aller übrigen gewährleisten.
Aber indem er die Realisie- rung der Freiheit als die höchste Aufgabe der Kultur- entwicklung bezeichnete, stellte er das Rechtsleben so sehr unter den sittlichen Gesichtspunkt, daß die spätere deutsche Philosophie wiederum den Staat als die not- wendige Form der Bethätigung des sittlichen Lebens der Menschheit zu konstruieren suchte. Fichtes An- schauung vom Wesen des Rechts liegt der psychol. Gedanke zu Grunde, daß das Ich sich seiner selbst überall nur durch Berührung mit dem Ich fremder Individualität und also auch seiner Freiheit nur dadurch bewußt werde, daß es mit seinem eigenen Willen auf den Willens- und Thätigkeitskreis an- derer stößt.
.Herbart erklärt, indem er alle morali- schen Erscheinungen auf die Wirksamkeit ästhetischer Gefühle zurückführt, die Ncchtsbildung aus dem Mißfallen am Streite. Hegel nennt den Staat geradezu die Realisierung der sittlichen Idee und erblickt in der aufsteigenden Reihe der geschichtlichen Staatsjormen die Entwicklung des sittlichen Geistes. In weiten Kreisen brach sich die Ansicht Bahn, daß der Staat nicht ein zufälliges und dem Individuum äußerliches Gebilde, sondern vielmehr sein sittliches Lebenselement sei.
Diesem Bestreben, den Staat zum Mittelpunkt des menschlichen Gesellschaftslebens zu machen, kamen die socialistischen Theorien ent- gegen, die die Lösung aller Schwierigkeiten des Ge- sellschaftslebens von der staatlichen Gesetzgebung verlangen und sür möglich halten. Dadurch wurde sür die eine Unterordnung unter die allgemeine Gesellschaftswissenschaft angebahnt. (S.Sociologie.) In jüngster Zeit ist die Richtung hervorgetreten, die durch Vergleichung verschiedener gleichzeitiger und 43* ¶
Vernunft - Vernunftrec

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Seite 16.146.Vernunftrecht
(Naturrecht, philosophisches Recht), der Inbegriff der Rechtsgrundsätze, welche durch Nachdenken als die der Rechtsidee entsprechenden gefunden werden. Im engern Sinn faßt man unter Vernunftrecht oder Naturrecht auch wohl diejenigen Rechte zusammen, welche dem Menschen als solchem und abgesehen von besondern staatlichen und gesellschaftlichen Zuständen zukommen und gewissermaßen angeboren sein sollen (s. Menschenrechte). Den Gegensatz zu diesem Vernunftrecht bildet das positive Recht der einzelnen Staaten.
Dies allein als der Ausdruck des staatlichen Gesamtwillens, welchem sich der Einzelwille fügen muß, kann praktische Geltung
beanspruchen, welche dem Vernunftrecht um des willen versagt werden muß, weil gerade auf dem
rechtsphil
osophischen Gebiet die Ansichten sehr weit auseinander gehen. Auf der andern Seite ist aber die Rechtsphilosophie,
d. h. die philosophische Untersuchung über Begriff und Wesen von Recht und Rechtsverhältnis, als eine wichtige Grundlage der
Rechtswissenschaft anzusehen, wie sie zugleich einen integrierenden und wichtigen Bestandteil der Philosophie
überhaupt bildet.
Denn wie es im allgemeinen die Aufgabe der letztern ist, aus den äußern, wechselnden Erscheinungen und Zuständen des menschlichen Lebens das diesen zu Grunde liegende Gesetz und ihren letzten Grund zu erforschen, so liegt es ihr auch ob, durch Feststellung der Idee des Rechts eine sichere Norm für die Beurteilung der bestehenden angeblichen Rechte und Rechtsordnung zu gewinnen. Auf diese Weise wird zugleich dem Recht eine tiefere Begründung gegeben und die Möglichkeit eröffnet zur Fortentwickelung der bestehenden Gesetzgebung im Geiste der Rechtsidee.
Während das Altertum die geistvollen Ausführungen eines Platon und eines Aristoteles über den letzten Grund von Staat und Recht und über die idealen Zwecke der Staats- und Rechtsordnung aufzuweisen hat, ist im Mittelalter eine völlige Nichtbeachtung jener philosophischen Grundlage und ein starres Festhalten am Buchstaben des Gesetzes vorherrschend. Erst Hugo Grotius stellte den Grundsatz von der Vernunftmäßigkeit desjenigen Rechts, das aus der Geselligkeit der Menschennatur entspringt, und die Möglichkeit der Ableitung einer Rechtswissenschaft aus der Natur des Menschen (Naturrecht) auf, weshalb man ihn wohl den Vater des Vernunftrechts genannt hat.
Fichte

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Fichte.Ihm folgten Pufendorf, Thomasius, Locke, Wolf, Montesquieu, Rousseau und Kant, Fichte, [* 4] deren Nachfolger, die sogen. Naturrechtslehrer (Rotteck u. a.), die Philosophie als die ausschließliche Grundlage der Rechtswissenschaft hinstellten oder doch das philosophische Moment in einseitiger Weise hervorhoben. Dies veranlaßte die Reaktion der sogen. historischen Schule, welche unter Hugos Führung mit der philosophischen den Kampf aufnahm und die Einseitigkeit der letztern mit einer ähnlichen auf der rechtshistorischen Grundlage erwiderte, bis besonders durch Savignys Wirken die gleichmäßige Bedeutung von Philosophie und Geschichte für die Rechtswissenschaft zur Anerkennung und Würdigung gelangte (s. Rechtswissenschaft).
Vgl. Trendelenburg, Naturrecht (2. Aufl., Leipz. 1868);
Stahl, Philosophie des Rechts (4. Aufl., Heidelb. 1870);
Ahrens, Naturrecht (6. Aufl., Wien [* 5] 1871, 2 Bde.);
Röder, Grundzüge des Naturrechts (3. Aufl., Leipz. 1883);
Lasson, Rechtsphilosophie (Berl. 1880);
Dahn, Die Vernunft im Recht, Grundlagen der Rechtsphilosophie (das. 1879);
v. Jhering, Der Kampf ums Recht (8. Aufl., Wien 1886);
Derselbe, Der Zweck im Recht (2. Aufl., Leipz. 1884-86, 2 Bde.);
Verny - Verona

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Seite 16.147.Belime, Philosophie du droit (4. Aufl., ¶
mehr
Par. 1881, 2 Bde);