Schießbaum
wolle,
eine deutsche Erfindung, mit welcher 1846 Schönbein in Basel und Böttcher in Frankfurt a/M. fast gleichzeitig auftraten und die bei ihrem Erscheinen das allgemeinste Interesse wie kaum eine andre Erfindung auf chemischem Gebiete erregte. Die enthusiastischen Hoffnungen, in der S. einen nach jeder Richtung hin vortrefflichen Ersatz für das Schießpulver gefunden zu haben, sind nur zu einem Teile verwirklicht worden. S. wird bei Feuerwaffen nicht mehr verwendet, dient aber noch vielfach zum Sprengen und zur Füllung der Torpedos.
Schießbaumwolle

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Seite 21.494.Das Präparat entsteht bei Einwirkung starker Salpetersäure auf Holzzellstoff. Die Baumwolle, durch Krempeln gereinigt, bietet diesen Stoff in sehr reiner Beschaffenheit und passender Form. Zur Darstellung der Schießwolle wird die Baumwolle in ein Gemisch von Salpeter- und Schwefelsäure eingebracht, eine passende Zeit darin belassen und dann aufs Sorgfältigste durch Waschen mit vielem Wasser von aller anhängenden Säure befreit. Die Baumwolle hat nach dieser Behandlung ihr Aussehen nicht geändert, fühlt sich nur härter oder rauher an, ist aber doch ein ganz andrer Körper geworden, was sich schon aus dem Gewicht entnehmen läßt, denn 100 Teile Wolle wiegen nach ihrer Umwandlung 150 und noch mehr. Die Salpetersäure hat aus dem Zellstoff einen Teil des Wasserstoffs eliminiert, indem der in ihr enthaltene Wasserrest (OH) sich mit demselben zu Wasser verband. Gleichzeitig ist dann der Rest der Salpetersäure (NO2) an die Stelle dieses Wasserstoffs in die Verbindung eingetreten. Die Schießwolle ist demnach ein ganz ebensolcher ¶
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Nitrokörper wie Nitroglycerin und andre, die fast alle eine heftige Explosionsfähigkeit besitzen. Die Schwefelsäure hat bei dem chemischen Prozeß keine andre Thätigkeit, als daß sie die Salpetersäure durch Wasserentziehung stärker macht und so erhält, indem sie auch das im Prozeß selbst gebildete Wasser aufnimmt. Man kann das Präparat auch erhalten aus einer Mischung von Schwefelsäure und gepulvertem Salpeter, wo dann diese Säure die Salpetersäure erst aus dem Salz austreibt.
Die meiste Schießwolle wird jetzt für eine andre Verwendung in großem Maßstabe hergestellt, nämlich zur Bereitung von Kollodium (s. d.) und heißt dann nicht mehr Schieß- sondern Kollodiumwolle. Für beiderlei Zwecke ist auch eine verschiedne Behandlung der Baumwolle erforderlich. Kollodiumwolle wird erhalten durch kurzes, minutenlanges Einbringen in das Säuregemisch; sie hat wenig Explosivkraft, löst sich aber um so besser in einem Gemisch von Äther und Weingeist zu Kollodium.
Das zur Kraftwirkung bestimmte Präparat erfordert die stärkste Säure, demnach einen größern Zusatz von Schwefelsäure, und eine längere Berührung von Säure und Wolle. Es ist dann explosiver, quillt aber in dem genannten Lösungsmittel nur zu einer Gallert auf. Es hat dann auch eine andre Konstitution, enthält mehr Salpetersäure und ist nach chemischer Bezeichnung dreifach nitriert, die Kollodiumwolle nur zweifach. Die Schießwolle verbrennt blitzartig und löst sich dabei fast ohne Rückstand in Gase auf; durch Schlag oder Stoß explodiert sie mit großer Gewalt. Frei entzündet, äußert sie so wenig Kraft, daß sie die feinste Wage, auf der sie verbrannt wird, nicht ins Schwanken bringt. Im geschlossenen Räume, also als Ladung verwendet, wirkt sie treibend nach dem Grade ihrer Zusammenpressung und kann unter Umständen die zehnfache Kraft des gleichen Pulvergewichts entwickeln. - Die Verwendung des Präparates zu Kriegszwecken wurde zuerst von Österreich in die Hand genommen; es wurde durch jahrelange kostspielige Versuche unter Leitung des Generals Baron Lenk die Sache so weit gefördert, daß dasselbe nicht nur zu Sprengungen, sondern auch für besondere Schießwollbatterien Verwendung fand, die allerdings nicht Gelegenheit hatten, sich im Kriege zu bewähren.
Indes alle Schwierigkeiten waren noch nicht gehoben, und als am ein Magazin bei Wien mit 10000 kg Schießwolle explodierte, wurden fernere Versuche aufgegeben. Die gleichzeitig in Frankreich geführten Experimente wurden ebenfalls eingestellt. Die Schießwolle war inzwischen stark in Verruf gekommen, denn es waren nicht nur in Österreich, sondern überall, wo man sich damit befaßt hatte, namentlich auch in England, Selbstexplosionen in Laboratorien und Magazinen vorgekommen; man konnte nicht mehr zweifeln, daß der Stoff einer freiwilligen Zersetzung und Entzündung fähig sei; außerdem war die Verbrennung desselben als viel zu momentan, als die Kraftwirkung zu plötzlich für Schießgewehre befunden worden. Um so besser war der Stoff durch diese Eigenschaften als Sprengmittel geeignet.
Baron Lenk ging endlich mit seinen Erfahrungen nach England, wo noch die meiste Neigung bestand, die Sache weiter zu verfolgen. Er wies zuerst nach, daß die freiwillige Zersetzung nur Folge unvollkommener Bereitungsweise und die Herstellung völlig haltbarer Präparate thunlich sei. Zu den Lenk'schen Schießpatronen wurde die rohe Baumwolle zu lockerer Lunte versponnen, diese nach erhaltener Präparatur in hohle Schläuche verwandelt, von denen passende Längen abgeschnitten und in Hülsen von steifem Papier eingeschlossen wurden.
Die Gebrauchsfähigkeit war so eine größere, ohne indes völlig zu genügen. In letzter Zeit hat nun durch Professor Abel, Chemiker am Kriegslaboratorium zu Woolwich, der Gegenstand eine nochmals veränderte Gestalt erhalten und ist so weit gediehen, daß die Schießwolle eines der mächtigsten und zugleich das bequemste Sprengmittel bildet. Nach der Abel'schen Methode wird die fertige Schießwolle auf einem Papierholländer unter starkem Wasserzufluß vollständig zu Brei gemahlen.
Hierdurch wird nicht nur die vollständigste Reinigung und Entfernung der Säurereste erzielt, sondern auch der Stoff für den Gebrauch handlicher gemacht. Man kann dem Brei, um die Masse in ihrer Verbrennung zu mäßigen, rohe Baumwolle oder andre nicht explosive Stoffe zusetzen; man kann ihn auf der Papiermaschine in Bogen formen, diese aufrollen und in kurze Stücke zerschneiden, die direkt Patronen abgeben. Der halbfeuchte Brei läßt sich in einer hin- und hergehenden Trommel in Körner verwandeln, übrigens durch Pressen in jede beliebige Form bringen.
Die große Schießwollfabrik von Prentice & Co., welche seit Jahren, erst nach Lenk's Anweisung, ohne Unfall gearbeitet, hat das Abel'sche System völlig angenommen. Es wird Baumwollabfall verarbeitet, gleichviel wie kurzfaserig, nur gründlich gereinigt und getrocknet. Diesen Stoff bringt man pfundweise in ein Gemisch von 1 Tl. stärkster Salpetersäure und 3 Tln. konzentrierter Schwefelsäure, nimmt ihn nach wenigen Minuten heraus, läßt ihn auf einem Gitter etwas abtropfen und preßt schwach aus, worauf man die Portionen in andern kalt gehaltenen Gefäßen übereinanderschichtet und 48 Stunden stehen läßt.
Schießpulver

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Seite 21.495.Die noch anhängende Säure reicht hin, um die Nitrierung zu vollenden. Die Masse kommt hierauf in eine Centrifugalmaschine, wo der größte Teil der Säure abgeschleudert wird, dann in eine, Tage dauernde, große Wäsche und schließlich auf den Holländer. Die hier erhaltene Brühe wird ebenfalls durch Ausschleudern vom größten Teile des Wassers befreit und so eine Paste erhalten, aus welcher alle Fabrikartikel, Patronen, Sprengröhren, Scheiben und andres durch Pressen geformt werden. Man macht die Artikel auch unempfindlich gegen Feuchtigkeit, indem man sie mit einer schwachen weingeistigen Lösung von Kautschuk tränkt und wieder trocknet. - Die Schießwolle hat die merkwürdige Eigenschaft, immer so zu verbrennen, wie man sie anzündet, entsprechend dem obwaltenden Temperaturgrade. Zieht man aus einer Lunte einige Fasern hervor und berührt sie behutsam mit einem Köhlchen, so verzehrt sich das Ganze langsam, fast wie ¶
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schwelend; mit einer Flamme, auch der von Schießpulver, entzündet, verbrennt sie gleichfalls mit großer Flamme; erfolgt dagegen die Entzündung durch einen heftigen Stoß, also in der Praxis durch einen Schlagzünder, wobei eine viel höhere Temperatur entwickelt wird, so erfolgt die Verbrennung unter ungeheurer Kraftwirkung, gleichviel ob der Stoff unter Verschluß gebracht ist oder freiliegt. Dieselbe Quantität Wolle, welche ohne Gefahr auf der Hand entzündet werden kann, wird auf dicken Balken, Eisenplatten oder Granitblöcken, mit Schlag entzündet, ihre Unterlage zerschmettern; ein Strang Wolle um den dicksten Baum gelegt wird ihn unter denselben Verhältnissen umreißen. Bei Sprengungen ist es ferner nicht nötig, das Bohrloch zu verrammen, indem die Wolle oder noch besser eine Abel'sche Schießröhre, wenn einfach eingeschoben, ihre volle Wirkung auch thut, sodaß also die gefährliche Operation des Ladens der Bohrlöcher ganz wegfällt. Hierdurch werden Sprengungen zu friedlichen und kriegerischen Zwecken ganz außerordentlich erleichtert. Auch zur Fabrikation von Celluloid (s. d.) dient die S. - Zoll s. Tarif Nr. 5 e.